Mein ganzes Geschichtsstudium ist so gut wie meine Reiselust, meine Landschaftsklekserei und meine Beschäftigung mit der Kunst aus einem enormen Durst nach Anschauung hervorgegangen.
Dieses Bekenntnis des 24jährigen Jacob Burckhardt (1818–1897) gegenüber seinem Freund Willibald Beyschlag hätte der grosse Basler Kunst- und Kulturhistoriker auch am Ende seines Lebens noch unterschrieben. Die Anschauung, zu der er auch die Bilder vor seinem inneren Auge zählte, war für Burckhardt stets Zweck und Inspiration seiner Arbeit:
Wo ich nicht von der Anschauung ausgehen kann, da leiste ich nichts. […] Was ich historisch aufbaue, ist nicht Resultat der Critic und Speculation, sondern der Phantasie, welche die Lücken der Anschauung ausfüllen will. (Jacob Burckhardt an Willibald Beyschlag, 14. Juni 1842)
Jacob Burckhardts Beschäftigung mit ‹Bildern› ist vielfältig: Zeugnisse hiervon sind unter anderem die Skizzen- und Notizbücher seiner zahlreichen Reisen, sein grosses Werk Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens (1855), in dem er sich mit Architektur, Skulptur, Malerei und Dekoration gleichermassen befasst, seine Förderung zeitgenössischer Künstler sowie seine Geschenke an die Öffentliche Kunstsammlung Basel. All diesen Bereichen haben wir in der Ausstellung eigene Kapitel gewidmet, ebenso wie wir Burckhardts Sammeln von Fotografien in die lange Tradition der Kunstreproduktion stellen.
Der Einfluss von Burckhardts Auffassung von Anschauung hat sich wiederum selbst in Bildern und Büchern niedergeschlagen: am Beispiel des monumentalen Tafelwerks von Alexander Schütz "Die Renaissance in Italien" wird deutlich, wie sehr Burckhardts Kunsthistoriker-Blick die Fotografie des Architekten Schütz gelenkt hat.
Anschauung auf Reisen
Gerard ter Borch, Venus und Roma, Tinte auf Papier, 1609, Rijksmuseum Amsterdam
Achille Parboni, Veduta del Tempio di Venere e Roma,
Erich Fries, Tempel der Venus und Roma, Bleistift auf Papier, 1824, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Unbekannter Fotograf (19. Jh.),Venedig, Scuola Grande di S. Marco Albuminabzug auf Karton kaschiert, ca. 1860-1890Universitätsbibliothek Basel, Nachlass Jacob Burckhardt
Jacob Burckhardt (1818–1897) Reisenotizbuch zu Venedig, 1854 Staatsarchiv Basel-Stadt, PA 207a 36g XLVTranskription des Eintrags zur Scuola Grande di S. Marco:
«Hauptfassade: das Architekton[ische] im Grunde zieml[ich] gefühllos. Ohne Besinnung sind Bogen jedes Grades mit stichbogigen Giebeln etc. vermischt. Die einzige Abstufung zwischen oben und unten besteht darin, dass die untren Pilaster nicht cannelirt u. dafür der obere Fries nicht ornamentiert ist. – Am Ende ist es doch schon Schreinerarbeit. Die schmalen decorierten Pilasterchen | neben < u. noch kleinere über> den Säulen der Fenster a & b sind lächerlich.
Das Decorative <soll v. Pietro Lomb[ardo] sein> bei ungeheurer Pracht zum Theil wahrhaft schön. Der Hauptfries glücklich für diese Stelle eines Aussenbaues mit einfach-lebend[igem] Ranken- u. Schotenwerk; nur in der Wirkung aufgehoben durch den gleich darunter (x-y) angebrachten Capiteelfries mit den prächtigen ranken-geschweiften Greifen. Alles Horizontale u. Runde besser als das Verticale, zB. die Pilaster der Nebenfenster c & d.- Die Pilaster der Pforte erheben sich mit ihren gleichgültig aufeinander folgenden Harpyjen, Delphinen, Schalen etc. nicht weit über das Bolognesische.»
Giorgio Sommer (1834–1914) Florenz, Palazzo Pitti Albuminabzug auf Karton kaschiert, ca. 1860-1890Universitätsbibliothek Basel, Nachlass Jacob Burckhardt
Fratelli Alinari, Fotografen seit 1852 Florenz, Galleria Palatina, Palazzo Pitti, Sala di Apollo Albuminabzug auf Karton kaschiert, ca. 1860-1890Universitätsbibliothek Basel, Nachlass Jacob Burckhardt
Andrea del Sarto (1486–1530) Unbekannter Fotograf, 19. Jh. Beweinung Christi Öl auf Holz Florenz, Galleria Palatina, Palazzo Pitti Fotografie, ca. 1860–1890Universitätsbibliothek Basel, Nachlass Jacob Burckhardt
Jacob Burckhardt (1818–1897) Reisenotizbücher zu Florenz, 1853/54 Staatsarchiv Basel-Stadt, PA 207a 36f«A del Sarto ein gleiches Sujet [wie Fra Bartolommeos ebendort ausgestellte ‹Beweinung Christi›] scheint geistlos und überfüllt unnütz reich daneben, obwohl er schöner malt. Mad[onna] weiss nicht was sie mit Christi Arm will; überhaupt weiss diess Niemand, und selbst der Schmerz der Magd[alena] braucht nicht tief zu gehen. Doch die Comp[osition] [hier eine schematische Skizze] noch immer die der goldenen Zeit.»
Jacob Burckhardt (1818–1897) Skizzenbuch «Vedute d’Italia. State 1838», «Dom von Mailand von der Corsia de’ Servi aus» Bleistift aquarelliertStaatsarchiv Basel-Stadt, PA 207.26, fol. 6,5 und 6,6
Jacob Burckhardt (1818–1897) Skizzenbuch «Vedute d’Italia. State 1838» Mailand von der Schanze unweit Porta Ticinese» BleistiftStaatsarchiv Basel-Stadt, PA 207.26, fol. 6,5 und 6,6
Unbekannter Fotograf (19. Jh.) Die Dachlandschaft des Mailänder Domes Albuminabzug auf Karton kaschiert, ca. 1860-1890Universitätsbibliothek Basel, Nachlass Jacob Burckhardt
Burckhardt und die Kunstreproduktion
Jacob Burckhardt und die zeitgenössische Kunst: die Nazarener und die Pietisten
JOHANN FRIEDRICH OVERBECK (1789–1869) Lot von zwei Engeln beschützt, 1825/28 BleistiftKunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Inv. 1860.43
JOHANN FRIEDRICH OVERBECK (1789–1869) Der Triumph der Religion in den Künsten, 1830-1840Frankfurt am Main, Städelsches Kunstinstitut, Inv. 892 Öl auf Leinwand, 392 x 392 cm
MELCHIOR PAUL v. Deschwanden (1811–1881) Christus als Weltenrichter. Entwurf für das sog. Stephanus-Fenster im Basler Münster, 1856 Bleistift, Aquarell weiss gehöht Staatsarchiv Basel-Stadt, SMM Inv. AB.342Der in Stans (NW) lebende und arbeitende katholische Maler Deschwanden schuf seit seiner römischen Begegnung mit Friedrich Overbeck 1840 nur noch Werke «für fromme Gemüter». In den Basler Pietistenkreisen kam dies gut an. Sein nazarenischer Entwurf für die Glasmalerei des Rundfensters im Südquerhaus des Basler Münsters wurde allerdings nicht verwirklicht, da die Zünfte Zum Schlüssel und Zu Webern als Stifter Einspruch erhoben.
Bartolomé Esteban Murillo (1618–1682) Unbekannter Fotograf, 19. Jh. Madonna mit Christuskind, Ausschnitt Öl auf Leinwand Rom, Galleria Corsini Albuminabzug auf Karton kaschiert, ca.1860-1890Universitätsbibliothek Basel, Nachlass Jacob Burckhardt
ALbert Landerer (1816–1893) Carton für das Giebelfenster über dem rechten Seitenportal des Basler Münsters: Jacob Meyer zum Hirzen und Johannes Oekolampad Blei, schwarze Kreide, gewischt, 1858 Universitätsbibliothek Basel, Portr Falk 489beschriftet u.r.: «Herrn Antistes Burckhard mit hochachtungsvoller Ergebenheit seines Albert Landerer’s»
Raffael (Raffaello Sanzio) (1483–1520) Unbekannter Fotograf, 19. Jh. Schule von Athen, Detail: Platon und Aristoteles Vatikanische Paläste, Stanza della Segnatura Fotografie, auf Karton kaschiert, ca. 1860–1880Universitätsbibliothek Basel, Nachlass Jacob Burckhardt
ALbert Landerer (1816–1893) Henri Besson (1818-1903), Fotograf Einzug der eidgenössischen Gesandten in Basel am 13. Juli 1501 Öl auf Leinwand, 118 x 170 cm, sign. und dat. 1855 Lichtdruck, ca. 1880-1900Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD 13, 109
Jacob Burckhardt, Aufforderung zur Subskription zu einem Historiengemälde Albert Landerers, undatiert [1854], Entwurf Staatsarchiv Basel-Stadt, PA 207a 57[…] Wir glauben nun aus guten Gründen, dass Herr Landerer derjenigen vollen künstlerischen Reife, welche ihm beschieden sein mag, entgegengeht, und dass es vielleicht nur Einer wahrhaften Ermuthigung bedarf, um ihn zu einer Leistung zu steigern, welche unserm Museum auf alle Zeiten zu einem edeln Schmuck gereichen würde.
Seine beiden letzten historischen Bilder zeigten erstaunlich frappante Fortschritte in den wesentlichsten Beziehungen. In der «Erstürmung von Blochmont» war die Hauptgruppe schon völlig lebendig und von ergreifender Wirkung des Ausdruckes. In der «Schlacht bei Marignano» jedoch, deren baldige Ausstellung auf der Lesegesellschaft wir von der Gefälligkeit des Besitzers hoffen können, <In denselben Namentlich in dem Zweiten derselben> erschien das Talent des Künstlers noch ungleich höher entwickelt ausgebildet <als früher>; der Zusammenklang der verschiedenen, trefflich contrastirenden Momente zu Einem Ganzen, die Energie und die leichte Bewegung der einzelnen Gestalten, die Meisterschaft der Zeichnung, die Originalität der Motive, endlich die sehr vorgeschrittene Harmonie und Klarheit des Colorites geben uns eine Gewähr, dass nur noch der letzte Schritt fehlt. Diesen dem Künstler zu erleichtern, ihn durch eine Bestellung monumentaler Art
ihn zum Höchsten anzuregen, ist gewiss ein edles Ziel, zu welchem sich die geehrten Kunstfreunde gerne vereinigen werden.
Als Gegenstand möchten wir unmassgeblich vorschlagen: den Einritt der eidgenössischen Gesandten in Basel bei dessen Eintreten in den Schweizerbund 1501. Diese Szene würde sehr wesentliche Vortheile darbieten; eine lebhafte Bewegung, von dem Beschauer entgegen, einen grossen Reichthum der verschiedensten Charaktere, Altersstufen und Trachten, eine festlich geschmückte Architektur (etwa die damalige Eschenvorstadt), eine grosse Freiheit in wirksamer Vertheilung des Lichtes, u[nd] d[er]gl[eichen] m[ehr]; vor Allem aber möchte der die schöne geschichtliche Augenblick Bedeutung des Augenblickes sich für ein Kunstwerk, das der Oeffentlichkeit angehören soll, in hohem Grade eignen.
Die Summe der Subscription müsste 4000 ffcs erreichen. Eine Arbeit dieser Art verlangt nicht bloss sehr kostspielige Costüm- und Modellstudien, sondern auch Zeit, Ruhe und Überlegung. Der Maler kann in den Fall kommen, dem schon sehr weit gediehenen Werk irgend eine wesentlich neue Wendung geben zu müssen, welche nicht bloss eine Veränderung einzelner Partien, sondern eine Überarbeitung und Umstimmung des Ganzen nach sich zieht. […]
ALBERT LANDERER (1816–1893) Jakob Höflinger (1819–1892), Fotograf Bannritt der Kleinbasler im 15. Jahrhundert Öl auf Holz, 24,8 x 73,2 cm, sign. und dat. 1870 Fotografie, auf Karton kaschiert, 1871 Staatsarchiv Basel-Stadt, SMM Inv. 1992.4Der religiöse Brauch, die Gemeindegrenzen abzureiten und um den Ackersegen zu bitten, ist in der friesartigen Darstellung Landerers ironisch gebrochen. Denn zahlreiche Ritter bemächtigen sich mit Fahnen und Fanfaren der Szene. Der Staub, den sie aufwirbeln, zieht in die rechte Bildhälfte, wo er sich mit dem Weihrauch des religiösen Aktes vermischt. Hier sitzen der Priester von St. Theodor und sein Kaplan auf müden Gäulern und klammern sich an ihre Reliquiare, während vor ihnen ein Franziskaner mit seinem Knabenchor ein inbrünstiges Lied anstimmt.
Landerer malte 1844 eine erste Version des Themas, ein grossformatiges Aquarell, das er dem befreundeten Medizinprofessor Carl Gustav Jung (1794–1864) schenkte. Eine zweite Ausführung des Sujets entstand 1870 und kam in den Besitz des Bandfabrikanten Wilhelm Bischoff-Merian (1817–1886). Der Verbleib beider Bilder ist leider unbekannt, das spätere ist jedoch in der hier gezeigten Fotografie überliefert.
Auf den Spuren des Cicerone: Alexander Schütz und sein Tafelwerk Die Kunst der Renaissance in Italien